Music Commerce
Music-Commerce
Im Gespräch mit Sven Schoderböck
Bis 1991 absolviert er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in einem Musikfachgeschäft. Im Anschluss daran folgen Jahre der Selbstständigkeit, in denen er sich daran macht, eine eigene Musiksoftware zu entwickeln. 1996 steigt er dann bei Thomann ein und ist schnell für die Bereiche Vertrieb und Marketing verantwortlich. Sie steigen sehr schnell in den E-Commerce ein und setzen insbesondere in den Bereichen Content-Marketing, Produktbewertungen und Affiliate-Marketing neue Maßstäbe. Thomann entwickelt sich im Laufe der Jahre und bis heute zum größten Online-Händler für Musikinstrumente weltweit und knackt 2020 die Umsatzschwelle von 1 Milliarde Euro. Ende 2021 verlässt Sven das Unternehmen nach 25 Jahren, weil die Geschichte für ihn persönlich auserzählt ist und er Lust verspürt anderen Ideen hinterher zu jagen. Dabei verfolgt er auch persönliche Challenges und absolviert etwa „10 Praktika in 10 Monaten“ (u.a. BabyOne und Declathon). Heute bringt er sein Wissen als Berater ein, unterstützt vielversprechende Startups und ist u.a. CEO bei Sunlab Holding und der Awesome Stuff GmbH.
Was passiert mit Dir, wenn Du unterwegs bist und im Radio die ersten Takte von „Smoke on the water“ oder „Stairway to heaven“ erklingen?
Da habe ich inzwischen ein total dickes Fell dagegen. Da blende ich aus, ganz ehrlich.
HH oder Berlin bezeichnen sich gerne als die Hauptstädte des deutschen E-Commerce. Für wahre Weltmarktführerschaft muss man aber ins beschauliche Treppendorf nach Franken reisen. Wie kommt das denn?
Genau. Treppendorf ist Thomann. Thomann ist weltgrößter Versender für Musikinstrumente, Licht- und Tonequipment. Treppendorf ist der Heimatsitz der Familie Thomann und schon immer gewesen. Aus dem Wohnzimmer der Familie Thomann hat sich irgendwann das Musikbusiness entwickelt. Der Standort ist auch nicht schlecht, wenn Du Logistik machst, weil die Grundstückspreise doch recht niedrig sind. Die Mitarbeiter sind ehrlich, fleißig und echt liebe Kerle. Einzig die digitalen Talente sind etwas schwierig an den Standort zu bekommen. Das ist eine echte Herausforderung.
Zu der Entwicklung des Musikhauses Thomann…
Als ich 1996 angefangen habe, war es ein Musikladen mit Einzugsgebiet – ein ganz wichtiger Begriff damals, heute völlig irrelevant – wo sich die Leute in einem Radius von 150 km ins Auto gesetzt haben (das Geld hing schon halb aus der Tasche heraus) und versucht haben, vor Ort einen guten Deal zu machen. Der Versand hat zu dieser Zeit, mit knapp 10 Paketen pro Tag, noch in den Kinderschuhen gesteckt. E-Commerce war noch nicht existent bzw. den Begriff gab es zwar, aber er war so ein bisschen verpönt.
Zu Historie bei Netzmarkt…
Unser Host, der damals auch den ersten Webshop programmiert hat, war Netzmarkt, quasi ein Internet-Kaufhaus. Und wir waren da im 6. Stock „Freizeit“ mit der ersten Website vertreten. Netzmarkt ist inzwischen eine Tochterfirma von Thomann und die machen jetzt die ganze Infrastruktur.
Zur eigenen Unabhängigkeit von E-Commerce Standardlösungen…
Ja, wir hatten halt einen eigenen Shop, weil unser Sortiment sehr speziell ist und zu dem Zeitpunkt, als wir diese Entscheidung getroffen haben, gab es auch nicht wirklich etwas Gutes zu kaufen. Intershop fand ich technisch nicht gut und hätte unser Sortiment auch nicht gut abbilden können. Die anderen Sachen waren so ein bisschen wackelig und hätten auch die ganzen Produkte nicht handeln können. Ich bin selbst auch Entwickler, weshalb es auch ein bisschen Entwickler-Ehre war, dass ich halt einen eigenen Shop bauen wollte, was ich heute wohl auch nicht mehr so gemacht hätte. Wir sind aber auch heute noch froh, dass wir einen eigenen Shop haben, den wir anpassen können.
Zur Frage, was sie in der „Aufbruchzeit“ besser gemacht haben als Musicstore, Musik produktiv und Co. …
Es war eben schon so die DNA, dass wir uns immer ein wenig mehr anstrengen müssen, um überhaupt Kunden zu bekommen. Musicstore sitzt halt in Köln, hat eh immer Laufkundschaft gehabt und ist in seiner Region der Größte. Da hast Du eine andere Selbstwahrnehmung als in einem Laden, der quasi um jeden einzelnen Kunden kämpfen muss. Ich glaube, was wir besser gemacht haben war, von Anfang an auf Logistik zu setzen. So haben wir von Beginn an auf das größte Sortiment, die besten Preise und auch die beste Produktdarstellung abgezielt. Ich weiß noch, wie ich damals dafür gekämpft haben, dass wir wirklich für jedes Produkt auf jeder Seite ein Bild haben und das halt auch die Website schnell und auch mit jedem Device bedienbar ist. Das sind alles Sachen, die waren damals nicht immer selbstverständlich. Aber wir wussten, dass wir Kunden haben, die stundenlang auf der Website herumstöbern und denen wollten wir ein cooles Erlebnis bieten. Die Kunden sind zu Fans geworden, haben uns weiterempfohlen und Thomann halt in die Band reingebracht oder dem Nachbarn empfohlen. So sind wir halt zu dem Category Killer in der Branche geworden.
Zur Bedeutung von Content-Marketing bei Thomann…
Es war so, dass wir schnell gemerkt haben, dass wir keinen Tech-Krieg gegen irgendwen gewinnen können, aber wir können halt mit Produktliebe punkten. Wir haben alles auf Lager gehabt, also jedes Produkt, das bei uns auf der Website ist, führen wir auch. Du kannst ins Auto steigen, wenn ein Produkt auf der Website als verfügbar angezeigt wird und das Produkt vor Ort ausprobieren. Wir haben versucht, mit Produktdarstellung und Produktliebe zu punkten. Ein großes Netzwerk an Musikern und Musiker-Websites hochgezogen und inzwischen auch viele YouTube-Kanäle und haben es darüber geschafft, den Nutzern, die sich in ihrer Freizeit damit beschäftigt haben, die Produkte auf eine Art und Weise nahezubringen, dass sie halt keine anderen Fragen mehr hatten und auch nicht mehr in einen stationären Musikladen fahren mussten, um die Sachen auszuprobieren oder anzufassen. Das war früher wirklich ein Riesenthema, dass viele Leute gesagt haben, dass sie nie etwas über den Versand kaufen würden. Durch die Möglichkeiten des Internets mit 360 Grad Bildern, mit User-Bewertungen und Geld-Zurück-Garantie haben wir diese Hürde genommen.
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